Geschichte des Kerzenhandwerks

Vor dem 18. Jahrhundert und der Industriellen Revolution stellten die meisten Menschen ihre Haushaltskerzen selbst her. Diese einfachen Kerzen bestanden aus Talg, der aus Rinderfett gewonnen wurde und hatten wenig mit jenen sauber brennenden, geruchsfreien Lichtquellen zu tun, die wir heute kennen. Sie rußten, tropften und rochen furchtbar. Hochwertigere Kerzen aus Bienenwachs wurden nur in Kirchen und in Königshäusern verwendet, aber selbst diese rußten und tropften durchaus.

Mit dem Beginn der industriellen Revolution und den damit verbundenen längeren Arbeitszeiten stieg die Nachfrage nach Licht. Die kommerzielle Kerzenproduktion nahm ihren Anfang. Schon bald gab es leistungsfähige Maschinen, die eine große Anzahl an Dochten mehrmals hintereinander in Fässer mit heißem Wachs tauchten.
Anfang des 19. Jahrhunderts entdeckte der französische Chemiker „Michael Chevreul“, dass Rindertalg eine wichtige chemische Substanz enthält: die Stearinsäure. Durch verschiedene Experimente fand er heraus, wie man Stearinsäure von den ebenfalls im Talg enthaltenen übrigen Fettsäuren und dem Glyzerin trennen konnte. Auf diesem Weg gewann er reines Stearin. Der nächste Schritt war die erfolgreiche Extraktion von Paraffinwachs aus Kohle oder Torf. Diese beiden Grundsubstanzen – Stearin und Paraffinwachs – veränderten die Brennqualität der Kerzen. Sie werden auch heute noch verwendet. Das Paraffinwachs wird als Nebenprodukt bei der Ölraffination, das Stearin aus den Früchten der Ölpalme gewonnen.

Ein weiterer wichtiger Fortschritt bei der Kerzenherstellung, der etwa zu selben Zeit erfolgte, war die Einführung geflochtener Baumwolldochte. Bis dahin verwendete man verschiedene minderwertige Materialien, wie Schilfhalme, Stoff oder Bindfaden. Die Idee, Dochte zu flechten, war zukunftsweisend, denn geflochtene Dochte brannten wesentlich heller. Die englische Königin Viktoria verwendete die neuen geflochtenen Dochte sogar zur Herstellung ihrer Hochzeitskerzen.

Ein Problem bereitete jedoch immer noch die Asche, die beim Verbrennen als Rückstand aus der geflochtenen  Baumwolle zurückblieb und die dazu führte, dass die Kerzen stark rußten. Die Lösung brachte erst im späten 18. Jahrhundertdie Entdeckung, dass die Dochte vollständig abbrannten, wenn man sie zuvor in Borsäure tauchte. Betrachtet man heute diene brennende Kerze, kann man beobachten, das der Docht sich biegt und das Dochtende allmählich von den Flammen verzehrt wird. Es bleibt kein Ruß mehr zurück und die Kerze brennt sauber herunter.

Die Massenproduktion von Kerzen begann mit der Entwicklung spezieller Tauchrahmen. Dieses Verfahren, eine Weiterentwicklung aus Skandinavien, wird noch heute angewandt. Weitere Fortschritte technische Fortschritte sind das Formpressen von Wachspulver bei hohem Druck sowie das Strangpressen von Wachs in lange Zylinderstäbe und anschließendes Zuschneiden in die richtige Größe. Es muss nicht besonders betont werden, dass sich diese Methoden natürlich für den Hausgebrauch nicht eignen!

Ironie des Schicksals: Die Kunst des Kerzengießens wurde etwa zeitgleich mit dem Aufkommen der Elektrizität perfektioniert. Seitdem wurden die Herstellungsverfahren ständig weiterentwickelt – zur Freude all jener, die gern im warmen Schein einer Kerze sitzen.

Horst beim Giessen der Kerzen